Kreis Pinneberg (jhf) Ein Auto nach dem anderen rollt auf den Rastplatz Forst Rantzau an der Autobahn 23. Freie Parkplätze sind kaum zu finden. Autos, Vans, Wohnmobile und Wohnwagengespanne stehen dicht an dicht. Den Nummernschildern nach kommen sie aus vielen Ecken Deutschlands, aus Österreich, Frankreich und Großbritannien. Am Abend vor Beginn des Wacken Open Air (W.O.A.)-Festivals, 1. August 2023, sammeln sich die Fans neben der Autobahn. Einige sitzen auf Campingstühlen im Gras. Jemand hat einen Pavillon aufgestellt. An Campern sind Vorzelte aufgespannt. Menschen stehen in Gruppen zusammen und beratschlagen sich. Die Nachricht der Veranstalter, die sie gegen 17 Uhr auf ihrem Instagram-Kanal wackenopenair.official veröffentlichten, ist in aller Munde: Wegen der starken Regenfälle werden bis zum Festvial-Ende am 5. August keine Fahrzeuge mehr auf das vermatschte Festivalgelände gelassen.
Veranstalter: Shuttlebusse und öffentliche Transportmöglichkeiten sind voll
Einen Tag später, am 2. August, verhängt die Festivalleitung einen endgültigen Einlass-Stopp und rät auch von einer Anreise ohne Auto nach Wacken ab. "Es gibt keine Parkplätze für W.O.A.-Besucher, die nur in das Dorf kommen wollten. Generell gibt es überhaupt keine Parkkapazitäten. Shuttles und öffentliche Verkehrsmittel sind voll und fast überlastet. Verzichten Sie unter allen Umständen auf die Anreise nach Wacken. Es ist einfach nicht möglich", heißt es auf dem offiziellen Wacken-Instragam-Auftritt. Von den etwa 85.000 angemeldeten Besuchern wurden nach Polizeiangaben etwa 50.000 Personen eingelassen. Der Veranstalter gab unter www.wacken.com bekannt, den Menschen, die das Festival wegen des Einlassstopps nicht besuchen konnten, die Ticketpreise erstatten zu wollen.
Fan will nicht aufgeben
Am Abend vor Festivalbeginn will ein Braunschweiger, der anonym bleiben will, nicht aufgeben. "Ich fahre ja nicht 300 Kilometer, um wieder umzudrehen. Noch sind wir nicht gestrandet", sagt er und setzt sich wieder ans Steuer.
Ein Kumpel hilft aus
Eine neunköpfige Gruppe aus Uelzen diskutiert auf dem Rastplatz Forst Rantzau engagiert: "Lasst uns abstimmen, was wir machen", sagt Strucki. Über einen Kumpel erhielt er ein Angebot, auf einem Firmengrundstück in einem Gewerbegebiet in Itzehoe unterzukommen. Dort gebe es eine Halle und Platz zum Campen. Sie müssten 15 Minuten zu Fuß zum Bahnhof gehen, wo der Shuttlebus nach Wacken abfahren soll. "Aber da stehen bestimmt 500 Leute", vermutet Thomas Rogge. Die Gruppe stimmt dafür, die Chance zu nutzen, und fährt weiter.
1000 Kilometer von Nordengland angereist
Vier Briten sind bereits zwei Tage auf Achse. Die Männer hatten ihre Reise am Montagmorgen, 31. Juli, mit einem Van in Nordengland gestartet, setzten in der Nacht per Fähre von der britischen Insel in die Niederlande über und fuhren über Hamburg bis zum Rastplatz Forst Rantzau. Etwa 1000 Kilometer hatten sie zurückgelegt, als sie gut 50 Kilometer vor Wacken auf dem Rastplatz in Tornesch die Nachricht vom Anreisestopp erhalten. "Wir sind ein bisschen gestresst", räumt Matt Atkinson (39) aus Manchester auf Englisch ein. "Aber immer noch optimistisch", wirft Richard Haigh (31) aus Preston ein und lacht. "Es könnte schlimmer sein", bemerkt Jack Rogerson (26) aus Preston. Ben Hudson (27) aus Liverpool hatte das W.O.A. schon viermal besucht, seine drei Freunde aber noch nie. Sie wollen ihre Reise Richtung Wacken auf jeden Fall fortsetzen. Ihr Vorteil: Alle vier können in dem Van schlafen.
Gute Stimmung
In einer ebenso komfortablen Situation befinden sich Florian (26), Robin (32), Vanessa (27) und Leon (25) aus Kyritz bei Wittstock. Sie sind mit einem großen Camper unterwegs, in dem alle vier übernachten können. "Wir sind schon gut dran. Egal wo wir stranden, wir können schlafen", sagt Vanessa. Auf dem Rastplatz will sie aber nicht bleiben. Trotz aller Unklarheit herrscht gute Stimmung. "Man nimmt es, wie es kommt", bemerkt Leon.
Kritik an den W.O.A.-Veranstaltern: "Die sind selbst überfordert"
Timon Hamer reiste zusammen mit fünf Freunden aus Kamen in Nordrhein-Westfalen an, stand vor Hamburg zwei Stunden im Stau und zeigt sich verärgert: "Die Kommunikation der Veranstalter ist schrecklich." Einen Tag zuvor sei angekündigt worden, dass am 1. August um 10 Uhr neue Infos zu den Anreisemöglichkeiten bekanntgegeben werden sollten. "Dann kamen die Infos um 12.30 Uhr. Wenn sie das Festival um 10 Uhr abgesagt hätten, wären wir gar nicht erst losgefahren." Sein Kumpel Kevin Schultze vermutet: "Die sind selbst überfordert. Alle stehen aufm Schlauch." Dominic Tanzer hat gehört, dass ab Itzehoe ein Shuttlebus nach Wacken fahren soll. "Aber die können doch die Mengen gar nicht bewältigen", befürchtet er - und soll Recht behalten.
Familie in Vaale bietet Zuflucht
Die Männer haben Glück: In dem Internetportal "Kleinanzeigen" finden sie eine Familie, die eine Unterkunft in Vaale anbietet - etwa fünf Kilometer oder einen einstündigen Fußmarsch vom Festivalgelände entfernt. Timon Hamer schwärmt: "Die Leute hier sind sehr hilfsbereit." Die Kamener schlugen ihre Zelte im Garten der Familie auf, wanderten am Abend nach Wacken und fuhren mit dem Taxi wieder zurück. Am Festivalgelände seien sämtliche Parkpätze gesperrt worden. Es sei nicht möglich, von der Unterkunft mit dem Auto hinzufahren. Die Stimmung ist trotzdem gut. "Die Nacht war super und die Leute, bei denen wir campen, sind extrem nett. Es wird wirklich alles versucht, damit wir uns hier wohlfühlen", berichtet Timon Hamer am nächsten Morgen, 2. August.
Nachrichtenlage änderte sich auf dem Weg aus Süddeutschland nach Norden
Auch auf anderen Parkplätze an der A23 legen Wacken-Fans Pausen ein. "Meine Stimmung ist gerade im Keller", sagt Paul. Zusammen mit seinen Freunden Thorsten, Kevin und einem weiteren Paul, der das Festival bereits 2017 besucht hatte, ist er aus dem Raum Mannheim/Heidelberg angereist. Kurz nach 17 Uhr stehen die Metal-Fans auf dem Parkplatz eines Schuhmarkts an der A23-Abfahrt Pinneberg-Nord, als Thorsten auf seinem Handy bei Instagram die Nachricht vom Anreisestopp für Fahrzeuge auf das Festvialgelände in Wacken entdeckt. Er liest sie laut vor. Paul beklagt, dass er trotzdem nicht weiß, ob das Geld für die Tickets - immerhin 300 Euro pro Person - erstattet wird. Der andere Paul, der das Festival bereits besucht hatte, kritisiert: "Was ich schade finde, ist, wie es kommuniziert wird - so schwammig." Thorsten stellt fest: "Man weiß nicht, was gerade ist." Die jungen Männer waren zu Hause gegen 7 Uhr mit zwei Autos Richtung Norden gestartet. "Wir sind auf gut Glück hochgefahren", berichtet der erste Paul. Am 31. Juli hätten sie noch gehört, dass Autos auf das Festivalgelände gelassen werden. "Wir hatten die Hoffnung, heute Nacht auf das Gelände zu kommen", sagt Thorsten. Doch unterwegs änderte sich die Nachrichtenlage. Am Abend vor Festivalbeginn wollen die vier Männer ein Hotel im Kreis Pinneberg suchen - "oder eine Brücke", bemerkt einer von ihnen scherzhaft.
Fans aus der Eifel und Aachen drehen um
In Elmshorn auf dem Parkplatz bei Burger King stehen am Abend vor den ersten Konzerten einige Autos von Wacken-Fans. Knut, Patrick, Phina, Max und Tim reisten gemeinsam mit mehreren Wagen aus dem Raum Aachen und Eifel an. Am Montag, 31. Juli, waren sie aufgebrochen. Unterwegs hörten sie, dass Fahrzeuge per Trecker auf das Festivalgelände geschleppt werden sollen. "Wir haben an einer Tankstelle erstmal geguckt, wo die Abschleppösen an unseren Autos sind", berichtet Knut. Die Nacht zu Dienstag, 1. August, verbrachte die Gruppe in Hamburg, kaufte Regenkleidung und unternahm eine Tour über den Kiez. Der W.O.A.-Veranstalter hatte über die Sozialen Medien empfohlen, auf dem Parkplatz des Volksparkstadions zu übernachten. Parkplatzeinweiser lotsten sie zu Plätzen, auf denen sie zelten sollten. "Aber da stand das Wasser zweieinhalb Zentimeter hoch", berichtete Knut. Sie suchten sie ein günstiges Hostel in St. Pauli. Eine zweite Nacht wollen die Aachener aber nicht im Hotel schlafen. Ihr Plan: Einen Energydrink trinken und dann noch am Abend nach Hause aufbrechen. "Resigniert", beschreibt Knut seine Stimmung. "Wenigstens weiß man jetzt, woran man ist", stellt Patrick fest.
Hotels in Elmshorn ausgebucht
Die Hotels in Elmshorn waren am Vorabend des Festivals fast ausgebucht - oft mit Wacken-Fans. Das ergab eine Umfrage von holsteiner-allgemeine.de in fünf Häusern. Nusret Sözen betreibt das Gästezimmer An der Krückau. Zuerst hatte er drei Wacken-Fans aus Österreich zu Gast. Am Donnerstag, 3. August, sollen weitere Metal-Fans anreisen. Aber nicht nur Besucher quartieren sich in Elmshorn ein. Ein Hotel war nach Informationen unserer Redaktion zu 90 Prozent mit Polizisten belegt, die beim Festival für Sicherheit sorgen sollen.