Kreis Pinneberg (jhf) Ihre Liebe zum Burg Kino Uetersen bewiesen viele Menschen während der Corona-Lockdowns tatkräftig. Sie kauften Tickets für „Geistervorstellungen“, die nie stattfanden, und spendeten auf diese Weise etwa 30.000 Euro. Betreiber Bernd Keichel hatte die Aktion 2020 ins Leben gerufen, weil viele Gäste sagten: „Bitte, macht nicht zu. Wir helfen euch.“ Der 62-Jährige zeigt sich erfreut: „Das Burg Kino hat in der Stadt einen guten Zuspruch.“
Umfragen unter 1080 Kinobesuchern und fünf Kinobetreibern
Auch in anderen Orten erfahren kleine Lichtspielhäuser viel Sympathie. Zu diesem Ergebnis kommt der Uetersener Filmproduzent Gerrit Gronau in einer Studie zur Lage der deutschen Kleinstadtkinos. Für seine Bachelorarbeit an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf in Potsdam befragte der 31-Jährige über das Internet insgesamt 1080 Kinobesucher vor allem in Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen, Bayern und Schleswig-Holstein, davon etwa 300 aus dem Umfeld des Burg Kinos und des Beluga Kinos in Quickborn. Fünf Kinobetreiber aus diesen Bundesländern, darunter Keichel, füllten einen Fragebogen aus. Gronau: „Die Zuschauer sind da, wenn das Kino Hilfe braucht. Deshalb kamen die kleinen Kinos teils besser durch die Pandemie als große.“ Das Geheimnis der Kleinstadtkinos: Sie stellen kulturelle Treffpunkte dar, weil sie für die Gäste in erreichbarer Nähe liegen, „mehr als Film“ bieten und die Betreiber den Draht zum Publikum pflegen.
Besucherzahl im Burg Kino Uetersen steigt
In Uetersen gestalten die Zuschauer das Programm mit. Keichel kombiniert Filme mit Büfetts sowie den Auftritten von Musikern und Comedy-Darstellern. Der Erfolg: Nach knapp 36.000 Besuchern im 1. Corona-Jahr rechnet er für 2023 mit mehr als 80.000 Zuschauern. Er ist überzeugt: Kleinstadtkinos haben Zukunft – „wenn man es so macht wie wir“.
Gerrit Gronau: „Der Kinosaal ist meine Kirche“
Der Uetersener Filmproduzent Gerrit Gronau geht liebend gern ins Kino. „Der Kinosaal ist meine Kirche – ein Ort, den man mit Leuten aufsucht, wo es einem gut geht und man Geschichten hört, wo man aus dem Alltag rauskommt und sich gern auf etwas einlässt.“ Diese Faszination entdeckte er, als er 1997 im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal im Burg Kino einen Film sah: „Hercules“ von Disney oder „Die furchtlosen Vier“, genau weiß er es nicht mehr.
Leidenschaft zum Beruf gemacht
Nach dem Abitur 2011 am Ludwig-Meyn-Gymnasium machte er seine Leidenschaft zum Beruf. Er schloss nach einer Ausbildung und Corona bedingten Verzögerungen in diesem Jahr das Studium der Film- und Fernsehproduktion ab. Sein Abschlussfilm „Von der Flüchtigkeit eins Geschmacks“ lief beim Internationalen Kurzfilmfestival im französischen Clermont-Ferrand. Er gewann zwar keinen Preis, empfindet aber allein die Teilnahme als Sieg für sein Team. Seine Bachelorarbeit überzeugte die Professoren. Das Thema lautet „Das deutsche Kleinstadt-Kino und sein junges Publikum. Eine fundamentale Wechselwirkung?“.
Uetersen: Kinder- und Familienfilme bilden Schwerpunkt
Ein Beispiel für diesen Zusammenhang liefert Bernd Keichel, Betreiber des Burg Kinos: Kinder- und Familienfilme stellten von 2018 bis 2022 knapp ein Drittel seines Programms dar. Dazu gehört die Reihe „De Lütten Schietbüddel“, in der kindgerechte Filme ohne Werbung mit gesenkter Lautstärke und im nur halb abgedunkelten Saal laufen. Bei Kindergeburtstagen im Kino dürfen Mädchen und Jungen Hotdogs belegen. „Es wird sehr gut angenommen.“ Keichel vermutet, dass sein Publikum zu 15 Prozent aus Besuchern unter zwölf Jahren und zur Hälfte aus 30- bis 65-Jährigen besteht, der Altersgruppe, zu der viele Eltern gehören.
Eltern gehen gern mit Kindern ins Kino
Diese positive Einschätzung ist bemerkenswert, da die Kinos die Menschen unter 20 Jahren zunehmend an die Streamingdienste und sozialen Medien verlieren, wie Gronau ausführt. Doch in seiner Online-Umfrage gaben fast 64 Prozent der 1080 Cineasten an, sich Filme im Kino meistens oder zumindest hin und wieder zusammen mit Kindern anzuschauen. Gronau: „Kinder gehen noch ins Kino, zum Beispiel bei Schulkinowochen. Bei Teenagern bricht das Interesse ab. Es kommt aber spätestens dann wieder, wenn sie selbst Kinder haben und sich an ihre Kindheit erinnern.“
Kinobetreiber pflegt Kontakt zum Publikum
Bei dem erwachsenen Publikum zeigt sich: „Der direkte Austausch der Zuschauer mit den Kinobetreibenden ist das Entscheidende“, sagt Gronau. In seiner Umfrage gab mehr als ein Drittel der Teilnehmer an, das Programm ihres Kleinstadtkinos beeinflussen zu können. Keichel: „Bei Events wie Live-Übertragungen von Musicals im Kino bin ich vor Ort und rede mit dem Publikum.“ Da nehme er Wünsche auf. „Das zahlt sich unheimlich aus.“ Zudem stellen drei Gruppen von Bürgern Programme für die Filmreihen „Seniorenkino“, „Starke Frauen“ und „Filme für Frauen und Männer, die sich trauen“ zusammen. Keichel berät sie – mit Erfolg: 81 Gäste besuchten das jüngste Seniorenkino.
Eine krisenbewährte Beziehung
Die Zuschauerzahlen der fünf befragten Lichtspielhäuser steigen, liegen aber noch unter dem Vor-Corona-Niveau. „Die Zukunft der deutschen Kleinstadt-Kinos wird also weiterhin davon bestimmt sein, wie gut sie sich anpassen können und wie sehr sie vom Publikum, aber auch den Förderungen unterstützt werden“, bilanziert Gronau. Der Austausch zwischen Kino und Publikum habe sich in Krisen immerhin bewährt.
„Großes Kinosterben blieb aus“
Kinos kämpfen nicht erst seit Corona. Von 2001 bis 2019 sank die Zahl der verkauften Tickets in Deutschland nach Angaben der Filmförderungsanstalt von knapp 178 Millionen auf weniger als 119 Millionen. Die Pandemie verschärfte den Trend: Im ersten Corona-Jahr wurden nur etwas mehr als 38 Millionen Eintrittskarten verkauft. Die gute Nachricht: „Es gab kein großes Kinosterben“, sagt Filmproduzent Gerrit Gronau. Die meisten Lichtspielhäuser hätten dank staatlicher Zuschüsse, ihrer kreativen Ideen und ihrer Zuschauer überlebt.
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